Fair-Fashion-Aktivistin Delphine Williot: Wie lief die Anhörung vor dem EU-Parlament?

Mit #GoodClothesFairPay hat die Organisation Fashion Revolution eine Europäische Bürgerinitiative für existenzsichernde Löhne in der Textilindustrie ins Leben gerufen, die knapp eine viertel Million Menschen unterschrieben haben. Nun durfte Delphine Williot von Fashion Revolution die Forderungen im Petitionsausschuss des Europäischen Parlament präsentieren, wo auch die Europäische Kommission Stellung bezog. Im Gespräch mit Solidaridad erzählt sie, wie die Anhörung lief und wie es jetzt weitergeht.

Fair-Fashion-Aktivisten bei Demo in München

Solidaridad: Was hat dich motiviert, die Bürgerinitiative #GoodClothesFairPay zu starten? Warum ist es so wichtig, sich für faire Löhne in der Textilindustrie einzusetzen?

Delphine Williot: Wenn wir mit den Arbeiter*innen aus der Textilindustrie sprechen, ist ihre wichtigste Forderung schon seit Jahrzehnten eine gerechte Entlohnung. Modemarken haben in den letzten Jahren viel versprochen und trotzdem hat sich in der Branche eigentlich nichts geändert. Die Menschen erhalten immer noch so geringe Löhne, dass sie nicht für sich und ihre Familien sorgen können. Das ist ein Problem, das nicht gelöst werden kann, solange wir keine Rechtsvorschriften haben, die gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleisten. 

Solidaridad: Hättest du gedacht, dass die Initiative dich bis nach Brüssel vor das Europäische Parlament bringen würde?

Delphine Williot: Ursprünglich war es unser Ziel, mit der Europäischen Bürgerinitiative eine Million Unterschriften zu sammeln, denn dann wäre die Europäische Kommission verpflichtet gewesen, sich mit unseren Forderungen auseinanderzusetzen. Das ist uns leider nicht gelungen. Das System der Europäische Bürgerinitiative macht es Aktivisti sehr schwer, Unterschriften zu sammeln. Gleichzeitig habe ich mich sehr über die Möglichkeit gefreut, unsere Forderungen stattdessen im Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments vorzustellen. Der Austausch mit den Mitgliedern des Europäischen Parlaments zu der Kampagne war sehr fruchtbar. Letztendlich war es aber von Anfang an unser Ziel, nach Brüssel zu gehen, um mit politischen Entscheidungsträger*innen zu sprechen und unsere Vorschläge in die EU-Gesetzgebung einzubringen. Über Umwege haben wir das jetzt auch erreicht.

Solidaridad: Wie ist die Anhörung in Brüssel gelaufen?

Delphine Williot: Wir hatten fünf Minuten Zeit, um unsere Petition vorzustellen. In dieser Zeit haben wir einen Überblick über unsere Forderungen gegeben und unterstrichen, dass diese von Gewerkschaften in Europa und der ganzen Welt unterstützt werden. Wir haben auch ein kurzes Video von Nasreen Sheikh gezeigt, einer früheren Textilarbeiterin, um zu verdeutlichen, warum dieses Problem unbedingt angegangen werden muss. Danach hat die Europäische Kommission geantwortet und verschiedene EU-Gesetzesvorhaben für fairere Bezahlung hervorgehoben, zum Beispiel das geplante EU-Lieferkettengesetz. Unsere Petition geht aber weiter als diese Vorhaben. Daher wird unser nächster Schritt sein, die Lücken zwischen den geplanten EU-Vorschriften und unseren Vorschlägen aufzuzeigen. Nach der Antwort der Kommission gab es noch Wortbeiträge von mehreren Abgeordneten, die unsere Kampagne unterstützt haben, was uns gefreut hat. 

Nasreen Sheikh, eine frühere Textilarbeiterin

Solidaridad: Hattet ihr das Gefühl, dass eure Forderungen auf Gehör gestoßen sind? 

Delphine Williot: Die Kommission wird innerhalb von zwei Monaten schriftlich auf unsere Petition antworten. Ich denke, momentan geht sie davon aus, dass das Thema existenzsichernde Löhne mit den derzeit geplanten Gesetzesvorhaben ausreichend angegangen wird. In diesen finden sich jedoch große Lücken. Deshalb freuen wir uns auf die Antwort der Kommission, weil sie sich dafür eingehender mit unseren Vorschlägen befassen muss. Unsere größte Sorge ist jedoch, dass unser Anliegen aufgrund der anstehenden Europawahlen momentan keine Priorität für die Kommission haben könnte. Deshalb müssen wir den Druck aufrechterhalten.

Solidaridad: Wie geht ihr jetzt weiter vor?

Delphine Williot: Unsere Forderungen werden an den Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments weitergeleitet. Wir erwarten, dass wir innerhalb von zwei Monaten auch von diesem Ausschuss angehört werden. Bis dahin kontaktieren wir die Abgeordneten des Ausschusses, um noch einmal zu verdeutlichen, warum unsere Vorschläge weitergehen als die bisher diskutierten EU-Gesetzesvorhaben für fairere Lieferketten. Existenzsichernde Löhne sind ein Menschenrecht. Unternehmen müssen dazu verpflichtet werden, dieses Recht einzuhalten.

Delphine Williot hat die Petition #GoodClothesFairPay mit ins Leben gerufen

Weitere Informationen

Die Anhörung im Europäischen Parlament wurde aufgezeichnet und kann hier angeschaut werden.  Im Rahmen der Anhörung war auch die Europäische Kommission anwesend und hat zu den Forderungen Stellung bezogen. Die Initiative #GoodClothesFairPay wurde von Solidaridad unterstützt, hier gibt es mehr Informationen zu den Forderungen. Solidaridad hat im Zeitraum von Juli 2022 bis Juli 2023 mehr als 18.000 Unterschriften für die Initiative gesammelt.