MIT BOTTOM UP! FÜR EINEN NACHHALTIGEN UND GESCHLECHTERGERECHTEN BEKLEIDUNGSSEKTOR IN ÄTHIOPIEN

Das Bottom Up!-Projekt nähert sich dem Ende und wir ziehen Bilanz: Was haben wir erreicht und welche Erkenntnisse konnten wir gewinnen? Das Projekt startete 2019 mit dem Ziel, im aufstrebenden Produktionsland Äthiopien eine nachhaltigere Wertschöpfungskette für Baumwolle und Bekleidung zu schaffen.

Gemeinsam mit MVO Niederlande und Etisk Handel Danmark (ehemals Danish Ethical Trading Initiative) haben wir von Solidaridad in Äthiopien an der Förderung einer umweltverträglicheren Textilproduktion gearbeitet, die Bäuer*innen und Arbeiter*innen zugute kommen sollte. Unterstützt wurden wir dabei finanziell durch die Europäische Union.

Bottom Up! hatte das Ziel, europäische Unternehmen mit äthiopischen Fabriken zu vernetzen und dabei beiden Seiten die Vorteile besserer Produktionspraktiken zu vermitteln. Gleichzeitig sollte das Projekt die europäischen Verbraucher*innen für die Schwierigkeiten im Textilsektor und ein nachhaltiges Einkaufsverhalten sensibilisieren.

Mit Bottom Up! sollte außerdem die Ungleichbehandlung der Geschlechter verringert werden, die im äthiopischen Textilsektor herrscht. Frauen machen die Mehrheit der Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie des Landes aus – und sind zeitgleich besonders häufig mit Diskriminierung, unsicheren Arbeitsverhältnissen und niedriger Bezahlung konfrontiert. In die Managementebene schaffen es die wenigsten, dort sitzen immer noch mehrheitlich Männer. Das Bottom Up!-Projekt hat Textilfabriken dabei unterstützt, Geschlechterungleichheiten anzugehen, zum Beispiel, indem die Einführung von Frauenausschüssen und Kindertagesstätten in den Unternehmen gefördert wurde.

Bottom Up! vor einigen Hürden

Bereits in der Anfangsphase des Projekts traten zahlreiche Herausforderungen auf: 

  • Die Covid-Pandemie, Überschwemmungen und die anhaltenden sozialen Spannungen in Äthiopien beeinträchtigten die Saatgutvermehrung, die Ernte und die Verarbeitungskapazitäten der Bäuer*innen dramatisch. Dennoch gelang es uns, die Saatgutversorgung aufrechtzuerhalten und Betroffene dabei zu unterstützen, sich von den verheerenden Auswirkungen dieser Ereignisse zu erholen.
  • Internationale Auditor*innen konnten aufgrund der Situation vor Ort leider nicht nach Äthiopien reisen, was die Durchführung von Cotton made in Africa (CmiA)-Zertifizierungen verhinderte. Gleichzeitig war die Nachfrage nach dieser Zertifizierung bei den lokalen Stakeholdern, insbesondere bei den Entkörnungsfabriken, gering. So kamen wir zu dem Schluss, dass für die Baumwollbäuer*innen in Äthiopien nur begrenzt Anreize bestehen, sich zertifizieren zu lassen.
  • Zu Beginn lautete das Projektziel: Baumwoll-Kleinbäuer*innen weiterbilden und ihre Produktion erhöhen. Angesichts der äußeren Umstände verlagerte sich der Schwerpunkt auf Schulungsmaßnahmen zu guten landwirtschaftlichen Praktiken, im Zuge dessen bildeten wir die die Farmer*innen in nachhaltigen Anbaumethoden weiter.
  • Gleichzeitig beeinträchtigte die Situation vor Ort unsere Bemühungen um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, insbesondere für Frauen. Dennoch: Wo es möglich war, wurden die Schulungen an die Covid- und Konflikt-Situation im Land angepasst. Zudem setzten wir unsere Weiterbildungen in Fabriken um, die sich nicht in Krisenregionen befanden. Unsere Kolleg*innen von Solidaridad Äthiopien schulten Beschäftigte und Führungskräfte unter anderem zu den Themen Gender und Soft Skills sowie zum Empowerment von Frauen und Führungskompetenzen.

Doch trotz der schwierigen Ausgangslage konnten wir mit Bottom Up! auch einige Erfolge verzeichnen!

 Ein Solidaridad-Besuch in der Fabrik Desta in Addis Abeba, Juni 2022

Schulungen zu Gender und Soft Skills

In äthiopischen Textilfabriken arbeiten überwiegend Frauen. Mehr als 80 % der Textilarbeiter*innen weltweit sind weiblich, während in den Führungsetagen Männer deutlich in der Überzahl sind. Für Frauen in der Textilbranche ist es nach wie vor schwierig, in die Führungs- und Entscheidungsebenen zu gelangen. Eine Lösung für dieses anhaltende Problem zu finden, ist von entscheidender Bedeutung für die Schaffung eines nachhaltigen Textilsektors und war daher eines der Hauptziele des Programms Bottom Up!.

Trotz aller Herausforderungen gibt es eine Reihe von Frauen, die leuchtende Beispiele für Gleichstellung sind. So zum Beispiel Zebenay Birhanu, Mechanikerin und Qualitätsprüferin bei ETUR Textile PLC, die an Schulungen  zu den Themen Gender und Soft Skills, Empowerment von Frauen und Führungskompetenzen teilgenommen hat:

„Nachdem ich ein Jahr lang als Reinigungskraft gearbeitet hatte, wurde ich zur Mechanikerin befördert, was eine vergleichsweise bessere Position ist. Ich habe an verschiedenen Weiterbildungen teilgenommen, die von Solidaridad Äthiopien im Rahmen des Projekts Bottom Up! angeboten wurden. Die Schulungen haben mir wirklich geholfen, mein Potenzial zu erkennen und Chancen zu ergreifen.”

Das Gender- und Soft-Skills-Programm hat mich in die Lage versetzt, meine Rechte und Pflichten als Frau zu kennen und gemeinsam für die Bedürfnisse und Prioritäten der Arbeiterinnen in der Fabrik einzutreten.

Zebenay Birhanu, Mechanikerin und Qualitätsprüferin bei ETUR Textile PLC

„Mein Selbstvertrauen hat schrittweise zugenommen, da ich gelernt habe, wie ich mit arbeitsbezogenen Herausforderungen, einschließlich sexueller Belästigung, umgehen kann. Das Gender- und Soft-Skills-Programm hat mich in die Lage versetzt, meine Rechte und Pflichten als Frau zu kennen und gemeinsam für die Bedürfnisse und Prioritäten der Arbeiterinnen in der Fabrik einzutreten. Mein Ziel ist es, in den nächsten drei Jahren Produktionsleiterin zu werden“, sagt Zebenay.

Frauen sind wichtige Akteurinnen bei der Schaffung eines nachhaltigen Bekleidungssektors in Äthiopien

Mekiya Hussien, Leiterin der Instandhaltung in der Bekleidungsfabrik Desta und Gewerkschaftsvorsitzende, nahm ebenfalls an dem Gender-Training teil. Sie sagt: “Dass ich als Frau Vorsitzende der Gewerkschaft bin, wurde von den Fabrikarbeitern und Managern anfangs nicht immer begrüßt. Nach und nach habe ich jedoch sowohl den Managern als auch den Beschäftigten bewiesen, dass ich der Aufgabe gewachsen bin, die Gewerkschaft zu führen.”

Ich bin eine der wenigen weiblichen Gewerkschaftsmitglieder, die den Arbeitnehmerverband auf nationaler Ebene vertreten. Ich habe einen Frauenausschuss in der Fabrik initiiert und organisiert, damit wir gemeinsam unsere Bedürfnisse und Prioritäten zum Ausdruck bringen und geschlechtsspezifische Normen in der Fabrik ansprechen können.

Mekiya Hussien, Leiterin der Instandhaltung in der Bekleidungsfabrik Desta und Gewerkschaftsvorsitzende

Zebenay und Mekiya sind nur zwei der 2.753 Fabrikarbeiterinnen, die bisher im Rahmen des Bottom Up!-Programms weitergebildet wurden. Zu den Schulungsthemen gehören u.a.: 

  • Transformationale und grundlegende Führungskompetenzen
  • Führungskompetenzen für Gewerkschaftsmitglieder und das Management
  • Konfliktmanagement 
  • Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz.
Schauen Sie dieses Video, um mehr über das Bottom up!-Projekt und die Solidaridad-Trainings zu erfahren

Gemeinsam mit dem äthiopischen Industrieministerium für mehr Gleichstellung

In Zusammenarbeit mit dem äthiopischen Industrieministerium, der GIZ und UNIDO hat Solidaridad eine Reihe ehrgeiziger Leitlinien für die Gleichstellung der Geschlechter entwickelt, die in der gesamten Textilindustrie des Landes angewendet werden sollen. Die Leitlinien befassen sich mit geschlechtsspezifischen Aspekten der Branche, unter anderem mit dem ungleichen Zugang zu Ressourcen und zu qualifizierten, besser bezahlten Positionen sowie mit dem Gender Pay Gap. Die Leitlinien sollen es Verantwortlichen ermöglichen, die Entwicklung der Branche im Bereich Gleichstellung zu messen, zu überwachen und zu bewerten. Die Leitlinien sollen außerdem:

  • einen Beitrag zu geschlechtsspezifischen Empfehlungen, politischen Maßnahmen und Verbesserungen des rechtlichen Rahmens leisten
  • als Referenz für weitere geschlechtsspezifische Forschung dienen und
  • Quellenmaterial für Schulungen, Beratungs- und Mobilisierungsforen sowie Lobbyarbeit liefern.

Ein Vertreter der Gender-Abteilung des Industrieministeriums sagt dazu: „Der Beitrag von Solidaridad ist sehr wichtig für die Entwicklung dieses Gender-Leitfadens, insbesondere aufgrund der finanziellen Unterstützung und des inhaltlichen Wissens.”

Wir gehen davon aus, dass die Leitlinien nicht nur für das Industrieministerium, sondern unter anderem auch für andere staatliche Einrichtungen, Arbeitgeber*innen, Arbeitnehmer*innen-Verbände, politische Entscheidungsträger*innen, Gender-Expert*innen, Organisationen der Zivilgesellschaft und Textilunternehmen nützlich sein werden.

Eine äthiopische Textilarbeiterin an einer der Maschinen

Weiterbildungen zu nachhaltiger Textilproduktion

Ein weiterer Bottom-Up!-Projektschwerpunkt ist die Förderung von sauberen und umweltfreundlichen Produktionsverfahren. Die Textilindustrie hat aufgrund ihres hohen Verbrauchs an Chemikalien, Wasser und Energie große Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit.

Von der Verwendung von LED-Lampen bis hin zu einem betriebsinternen Einkaufsverbot für schädliche Chemikalien können Textilfabriken eine Menge tun, um sauberer zu produzieren.

Kalayu Gebru, Bottom Up!-Projektleiter für Solidaridad Äthiopien

„Wir haben festgestellt, dass bei den Fabrikmanagern ein großer Mangel an Wissen über Nachhaltigkeit besteht. Deshalb bieten wir Trainings zu dem Thema an. Das erste Modul befasst sich mit lokalen und internationalen Umweltvorschriften. In anderen Modulen geht es zum Beispiel um Wassernutzung und Mülltrennung.“

Die Schulungen von Kalayu sind eine wertvolle Initiative zur Vermittlung nachhaltiger Praktiken an Manager*innen von Textilfabriken und wurden von diesen mit Begeisterung aufgenommen.

Präsentation äthiopischer Textilien in Europa

Durch die Unterstützung äthiopischer Hersteller bei der Einführung und Aufrechterhaltung nachhaltiger Produktionsverfahren will Bottom Up! europäische Unternehmen dazu ermutigen, in den Sektor zu investieren und nachhaltiger einzukaufen.

Mit diesem Ziel vor Augen nahmen Anfang des Jahres Vertreter der Textilfabriken Desta und Nasa gemeinsam mit Solidaridad an der Texworld Evolution Paris, einer der größten europäischen Modemessen, teil. Damit ermöglichten wir unseren Partnerfabriken, potenziellen Abnehmern aus der ganzen Welt ihre hochwertigen und nachhaltigen Textilien zu präsentieren. 
Raghav Pattarm, CEO von NASA Garment, sagte in Paris: “Die Messe ist nicht nur hilfreich, um Abnehmer*innen zu finden, sondern auch, um Lieferant*innen kennenzulernen. Und um zu sehen, wie sich die Mode entwickelt. Man sieht: Welche Trends gibt es gerade? Welche Art von Stoff wird hergestellt? Welche Rohstoffe werden verwendet? Wir gewinnen durch die Messe Wissen, mit dem wir uns rechtzeitig auf die kommenden Trends vorbereiten können.”

Wir wollen als Unternehmen bekannt sein, das bio und nachhaltig ist. Europa ist verrückt nach Bio, wenn wir in den europäischen Markt eintreten wollen, müssen wir uns weiterentwickeln.

Eyob Bekele, Geschäftsführer von Desta Garment

Eyob Bekele, Geschäftsführer von Desta Garment, hat die Messe ebenfalls besucht und sagt: „Das Projekt [Bottom Up!] hat die Organisation und die Denkweise der Menschen in unserer Firma langfristig beeinflusst.” Seine Ziele für die Zukunft: “Wir würden gerne noch nachhaltiger werden und uns Zertifizierungen wie das Ökotex Made in Green-, das FSC- und das GOTS-Siegel erarbeiten. Wir wollen als Unternehmen bekannt sein, das bio und nachhaltig ist.

Europa ist verrückt nach Bio, wenn wir in den europäischen Markt eintreten wollen, müssen wir uns weiterentwickeln.“

Lesen Sie mehr über die Projekte von Solidaridad im Bereich Baumwolle und Textilien.

Über das Projekt Bottom Up!

Das Projekt wird mit Mitteln der Europäischen Union und einer Kofinanzierung durch das niederländische Außenministerium finanziert.  Am Programm sind 14 äthiopische Baumwollfarmen, Spinnereien und Textilfabriken mit insgesamt 19.200 Arbeiter*innen beteiligt. Nachhaltigkeit steht dabei vom Baumwollfeld bis zum Kleidungsstück an erster Stelle, mit dem Ziel inklusives Wachstum, einen bewussten Umgang mit Ressourcen, verbesserte Arbeitsbedingungen und Umweltstandards in Äthiopien zu erreichen. Darüber hinaus möchte Bottom UP! für mehr Transparenz in Europa 175 EU-Unternehmen aktivieren und 1,2 Millionen Verbraucher*innen in den Niederlanden, Dänemark sowie Deutschland bei verantwortungsbewussten Kaufentscheidungen unterstützen.

Bottom UP! ist ein von der EU finanziertes Projekt, das zu einer nachhaltigen, integrativen und transparenten Wertschöpfungskette beitragen soll – und so die Arbeitsbedingungen vor Ort verbessert sowie die Arbeits- und Umweltstandards in der äthiopischen Baumwoll- und Bekleidungsindustrie fördert.

Projektpartner: Solidaridad Network, MVO Netherland und Ethical Trade Denmark (bisher bekannt als Danish Ethical Trading Initiative (DIEH)).