Dies ist eine Übersetzung des englischen Originalartikels von Gert van der Bijl
Was bedeutet die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten?
Seit Juni ist die neue EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten beschlossen, nach einer Übergangsfrist wird sie ab dem 30. Dezember 2024 verbindlich. Unternehmen, die Vieh, Leder, Kakao, Kaffee, Palmöl, Soja, Holz, Kautschuk oder Holzkohle auf den Markt bringen, müssen dann nachweisen, dass ihre Produkte seit dem 31. Dezember 2020 nicht zur Abholzung oder Schädigung von Wäldern geführt haben.
Die Verordnung bringt Potential für tiefgreifende Veränderungen mit sich: Unternehmen müssen geografische Daten zu ihren Produktionsstandorten vorlegen (in Form von Polygonen, wenn die Grundstücke größer als vier Hektar sind) und so sicherstellen, dass diese zu den genutzten Flächen zurückverfolgt werden können. Außerdem müssen sie nachweisen, dass auf diesen Flächen keine neue Abholzung stattgefunden hat und überprüfen, ob an ihren Produktionsstandorten die Menschenrechte und die Rechtsvorschriften des Produktionslandes eingehalten werden.
Unternehmen und andere Interessengruppen in Europa und den Erzeugerländern müssen nun herausfinden, was genau die neuen rechtlichen Vorgaben für sie bedeuten und wie sie diese umsetzen können.
Negative Folgen der Verordnung vermeiden: Kleinbäuer*innen einbeziehen
Die EU-Verordnung zu entwaldungsfreie Lieferketten kann nur dann ihre gewünschte Wirkung entfalten, wenn Kleinbäuer*innen miteinbezogen werden. Darauf hat Solidaridad gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen in den vergangenen Jahren immer wieder hingewiesen. Kleinbäuer*innen und ihren Bedürfnissen wird in der Politik und in den Entscheidungsebenen zwar in jüngster Zeit etwas mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht. Es muss jedoch noch viel mehr getan werden.
Die EU, die Mitgliedstaaten und europäische Unternehmen müssen fünf dringende Schritte umsetzen, damit die neue Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten für alle Beteiligten ein Erfolg wird.
Schritt 1: Die Folgen für Kleinbäuer*innen so schnell wie möglich abschätzen und angemessen darauf reagieren
Exporte in die EU sind eine wichtige Einkommensquelle für die Familien von Millionen Kleinbäuer*innen auf der ganzen Welt. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Kaffee, Kakao, Palmöl und Kautschuk. Viele Kleinbäuer*innen könnten Schwierigkeiten damit haben, die neuen EU-Anforderungen zu erfüllen und so vom EU-Markt ausgeschlossen werden. Das würde dann zu mehr Armut, statt zu weniger Abholzung, führen.
Die Formulierung des Artikel 34 der geplanten Verordnung ist besorgniserregend: „(M)indestens alle fünf Jahre führt die Kommission eine allgemeine Überprüfung dieser Verordnung durch und (…) insbesondere eine Bewertungder Auswirkungen dieser Verordnung auf Landwirte, insbesondere Kleinbauern, (…) und des möglichen Bedarfs an zusätzlicher Unterstützung (…) für Kleinbauern bei der Einhaltung der Anforderungen dieser Verordnung”.
Wenn die Kommission beschließt, fünf Jahre lang abzuwarten und erst dann die Auswirkungen auf Kleinbäuer*innen zu bewerten, wird es zum Handeln viel zu spät sein. Bereits im Juni 2022 forderten Solidaridad und 49 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen aus der ganzen Welt die Europäische Kommission auf, dringend die Bedürfnisse von Kleinbäuer*innen im globalen Süden zu evaluieren, bevor die Verordnung verbindlich wird. Die Kommission hat also noch etwa 17 Monate Zeit, um hierzu Maßnahmen zu ergreifen.
Schritt 2: Sofortige Entwicklung einer umfassenden Strategie der EU für die Zusammenarbeit mit Erzeugerländern
Ein wichtiges und viel diskutiertes Element der Verordnung ist Artikel 30, der die Zusammenarbeit mit Drittländern regeln soll. Diese Zusammenarbeit ist entscheidend, um sicherzustellen, dass die Verordnung ihre gewünschte Wirkung erzielt. In Artikel 30 heißt es: „Die Kommission entwickelt einen umfassenden Strategierahmen der Union für eine solche Zusammenarbeit und prüft die Mobilisierung einschlägiger Instrumente der Union.”
Die Formulierung, dass die Kommission die Mobilisierung einschlägiger Instrumente lediglich prüfen soll, macht ihre Zurückhaltung in diesem Bereich deutlich. Die Bedeutung von Partnerschaften für eine erfolgreiche Umsetzung betont auch die Waldschutz-Organisation Fern in einer Veröffentlichung über die Notwendigkeit von Strategien zur Zusammenarbeit mit Erzeugerländern. Diese sind aus zwei Gründen notwendig: Erstens, um das Risiko zu verringern, dass Produkte, die zu Abholzung führen, einfach auf anderen Märkten verkauft werden. Zweitens, um zu vermeiden, dass Kleinbäuer*innen die Kosten für die Umsetzung der EU-Verordnung alleine tragen müssen.
Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Europäische Kommission bereits mit der Entwicklung eines Strategierahmens für eine Zusammenarbeit mit Drittländern begonnen hat. Sie sollte sofort damit beginnen.
Schritt 3: Rasch mit Erzeugerländern in den Dialog treten
Noch dringender als die Entwicklung einer Strategie ist es, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten unverzüglich mit den Erzeugerländern und Interessengruppen in den Dialog treten. Zuallererst müssen die betroffenen Interessengruppen, dazu gehören Landwirt*innen und ihre Verbände sowie der Privatsektor, angemessen über die Verordnung informiert werden. Auch europäische Unternehmen haben ein Interesse daran, mehr darüber zu erfahren, welche Folgen die Verordnung für sie haben wird.
Unsere Erfahrungen mit Interessengruppen in den Erzeugerländern zeigen, dass viele von ihnen von der Verordnung betroffen sein werden, aber überhaupt nicht wissen, was auf sie zukommt. Sie haben entweder noch nie von der Verordnung gehört oder wissen nicht, was diese in der Praxis für sie bedeutet.
Nach Artikel 30 der Verordnung soll im nächsten Schritt Folgendes passieren: „Im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche arbeiten die Kommission (…) und interessierte Mitgliedstaaten (…) mit den von dieser Verordnung betroffenen Erzeugerländern und deren Landesteilen (…) zusammen, um gemeinsam mit ihnen gegen die Ursachen von Entwaldung und Waldschädigung vorzugehen.” In der Verordnung wird hinzugefügt, dass diese Zusammenarbeit den Partnerländern den Übergang zu einer landwirtschaftlichen Erzeugung im Sinne der Verordnung erleichtern soll, wobei unter anderem die Bedürfnisse von Kleinbäuer*innen besonders berücksichtigt werden sollen.
Das klingt sehr gut! Jedoch gilt auch hier: Wir können nicht warten, bis die Verordnung Ende 2024 verbindlich ist. Die Zusammenarbeit und ein koordiniertes Vorgehen müssen jetzt beginnen.
Schritt 4: Sicherstellen, dass sowohl Regierungen als auch Unternehmen in den Kapazitätsaufbau von Kleinbäuer*innen investieren
Regierungen müssen dafür sorgen, dass Kleinbäuer*innen und ihre Verbände aktiv dabei unterstützt werden, ihre Kapazitäten so aufzubauen, dass sie den Anforderungen der Verordnung entsprechen können. Doch nicht nur die Regierungen sind gefragt: Alle Unternehmen, die Kaffee, Kakao, Palmöl oder Kautschuk von Kleinbäuer*innen erwerben, tragen Verantwortung für diese Aufgabe.
Leider ist der folgende Wortlaut des Artikel 11, der die Anforderungen an Unternehmen zur Risikominderung formuliert, nicht eindeutig genug: „Die (…) Maßnahmen können auch die Unterstützung der Lieferanten dieses Marktteilnehmers, insbesondere Kleinbauern, bei der Einhaltung dieser Verordnung durch den Aufbau von Kapazitäten und durch Investitionen umfassen.” Jedes verantwortungsbewusste Unternehmen wird erkennen, dass hier die Formulierung “können” mit dem Wort „sollen“ ersetzt werden muss. Landwirt*innen und NGOs erwarten von Unternehmen, dass sie in den Kapazitätsaufbau ihrer Zulieferer investieren.
Schritt 5: Dafür sorgen, dass Produzent*innen ausreichend entlohnt werden
Nicht zuletzt ist es unbedingt erforderlich, dass die Kosten für die Einhaltung der neuen EU-Vorschriften gerecht unter allen Beteiligten aufgeteilt und die Ursachen für Entwaldung angegangen werden. Dazu gehört die große Armut von Kleinbäuer*innen.
In Erwägungsgrund 50 der Verordnung wird eine grundlegende Voraussetzung dafür genannt, dass die Verordnung eine langfristig nachhaltige Wirkung entfaltet: „Beim Bezug von Erzeugnissen sollten zumutbare Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass die Erzeuger, insbesondere Kleinbauern, einen fairen Preis erhalten, damit ein existenzsicherndes Einkommen ermöglicht und Armut als eine der Ursachen der Entwaldung wirksam bekämpft wird.”
Leider findet sich dieser Grundsatz nicht in den Artikeln der Verordnung wieder, in denen die konkreten Anforderungen an Unternehmen definiert werden.
Packen wir es an – für eine EU-Verordnung, die allen zugutekommt!
Um sicherzustellen, dass die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte tatsächlich Entwaldung reduziert und sich positiv auf die Lebensbedingungen von Kleinbäuer*innen auswirkt, sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich. Wenn die genannten fünf Schritte umgesetzt werden, wird die Verordnung zu faireren und nachhaltigeren Lieferketten führen, in denen die Wälder wirklich geschützt werden.
Wir von Solidaridad hoffen, dass EU-Politiker*innen und Interessenvertreter*innen ihren Einfluss nutzen, um die Verordnung über entwaldungsfreie Produkte in eine nachhaltige Praxis umzusetzen. Wir fordern, dass die EU mit Kleinbäuer*innen und ihren Regierungen zusammenarbeitet und sie dabei unterstützt, mögliche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den neuen EU-Anforderungen zu überwinden – nicht erst in ein paar Monaten, sondern schon heute.
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte auf Englisch an Gert van der Bijl, Senior EU Policy Advisor von Solidaridad: gert.vanderbijl@solidaridadnetwork.org