Das Projekt Q C Conta – sinngemäß zu übersetzen mit „Was die Leute erzählen“ – wurde von Solidaridad von April bis Dezember 2023 in der Region Alta Mogiana in den Bundesstaaten São Paulo (Jeriquara, Pedregulho) und Minas Gerais (Claraval, Ibiraci) umgesetzt. Unterstützt wurde das Projekt von der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit), dem Deutschen Kaffeeverband und weiteren Partnern.
In Deutschland wird viel Kaffee aus dieser Region getrunken – allein zwischen Januar und Februar dieses Jahres wurden nach Angaben des brasilianischen Verband der Kaffeeexporteure (Conselho Nacional de Café, Cecafé) mehr als 1,2 Millionen 60-kg-Säcke brasilianischen Kaffees nach Deutschland verschifft. Die Region ist zudem für die herausragende Qualität ihres Kaffees bekannt.
Das Ziel dieses Projektes war es, Empfehlungen zu entwickeln, wie ein grundlegender Beschwerdemechanismus an den lokalen brasilianischen Kontext angepasst werden kann, damit er zugänglich, legitim, transparent und für die Rechteinhaber in der Kaffeelieferkette ansprechbar ist. Konkret dient dieser Mechanismus des Deutschen Kaffeeverbandes und seiner Mitgliedsunternehmen – Ear4U – der Meldung von Menschenrechtsverletzungen auf der Grundlage des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes.
Im Rahmen des Projektes wurden nicht nur die Prozesse des Beschwerdemechanismus untersucht, sondern auch die Indikatoren und Kriterien des LkSG. Diese wurden von den Kollegen*innen von Solidaridad Brasilien kategorisiert und in die Extension Solution, dem digitalen Tool für die Datenerhebung, eingegeben. Insgesamt wurden 45 Arbeiter*innen und 35 Produzierende interviewt, die zuvor exemplarisch nach definierten Kriterien ausgewählt wurden.
Interviews zu Arbeitssicherheit, Arbeitsbedingungen und Entlohnung
Wie und wann fanden diese Interviews statt? Die Befragung der ausgewählten Personen fand während der Erntezeit von Mai bis Juli statt – einer Zeit, in der viele Kaffeeproduzierende und deren Arbeiter*innen auf Grund häufiger Kontrollen durch die zuständigen Behörden vor Ort unter Anspannung stehen. Um zu vermeiden, dass dies die Befragung negativ beeinflusst, wurden die Gespräch von lokalen Vermittler*innen wie Kooperativen, Verbänden und ortsbekannten Personen begleitet. Die Anwesenheit dieser dritten Parteien sorgte für eine größere Offenheit unter den befragten Arbeiter*innen und Produzent*innen.
Die Ergebnisse der Befragungen zu Themen wie Arbeitssicherheit, Arbeitsbedingungen und Entlohnung wurden den Befragten im Rahmen eines Workshops vorgestellt und auf einem Dashboard visualisiert. Die Ergebnisse konnten sich sehen lassen: insgesamt 83 % der in der deutschen Gesetzgebung festgelegten Kriterien wurden erfüllt, und die Antworten der beiden befragten Gruppen stimmten in hohem Maße überein. Während der Besuche konnten harmonische Arbeitsbeziehungen und komfortable Unterkünfte beobachtet werden – wohl ein Grund, warum die Mitarbeiter*innen seit Jahren in dieselben Betriebe zurückkehren. Nichtsdestotrotz zeigte sich auch: Arbeitskräfte zu finden ist immer wieder eine Herausforderung und die existierende hohe Informalität des Sektors ist ein Risiko für potentielle Rechtsverletzungen.
Viele involvierte Akteur*innen im Kaffeesektor
Das Thema ist von hoher Relevanz für den Sektor – und auch die Zivilgesellschaft, der öffentliche Sektor und private Initiativen beschäftigen sich damit. Es gibt immer mehr Initiativen, auch innerhalb der Unternehmen des Sektors, um Verstöße gegen soziale und umweltbezogene Mindeststandards und Risikosituationen zu vermeiden, insbesondere mit Hinblick auf vulnerable Gruppen wie temporäre Erntehelfer*innen.
Das Q C Conta Projekt fand also zur richtigen Zeit am richtigen Ort statt. Dank der Ergebnisse der durchgeführten Interviews konnten vor Ort in Brasilien entscheidende Verbesserungsvorschläge für den Beschwerdemechanismus erarbeitet werden. Diese wurden vor der Übermittlung an die Projektpartner in Deutschland von drei wichtigen Akteuren des brasilianischen Sektors validiert: dem Nationalem Kooperativenverband (Conselho Nacional de Café/ CNC), dem brasilianischen Verband der Kaffeeexporteure (Conselho de Exportadores de Café/ CECAFE) und der Umweltorganisation IMAFLORA. Um den generellen Beschwerdemechanismus Ear4U lokal zu verankern und ihn zugänglich, legitim, transparent und für die Rechteinhaber in der Kaffeelieferkette zugänglich zu gestalten, wären in einem nächsten Schritt nun Investitionen und weitere Aktivitäten zu kontinuierlichem Engagement und Kommunikation wichtig.
Als erstes Land, das den Beschwerdemechanismus Ear4U getestet hat, hat Brasilien gezeigt, welche lokalen Gegebenheiten bei der Umsetzung globaler Nachhaltigkeitsinitiativen wie dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz berücksichtigt werden müssen. Unser Kollege Gabriel Dedini ist sich sicher: Die Berücksichtigung lokaler Besonderheiten kann Beschwerdemechanismen nicht nur verbessern, sondern auch präventive Maßnahmen ermöglichen.
„Um die Sorgfaltspflicht erfüllen zu können, muss man einen Schritt über den Beschwerdemechanismus hinausgehen und einen Blick auf die Lieferkette werfen. Es ist eine Risikoanalyse erforderlich, um zu verstehen, welche die kritischen Punkte sind, wo sie auftreten können und wie schwerwiegend sie sind, so dass Präventivmaßnahmen ergriffen werden können, bevor es zu Verstößen kommt“, erklärt er.
Mehr zum Projekt erfährst du hier. Wir danken unseren Projektpartnern: Deutscher Kaffeeverband, Jacob Douwe Egberts (JDE), Melitta Gruppe, Nestlé, Olam Food Ingredients (OFI), GRAS/4C Services und Solidaridad Brasilien.